Ich werde hier selten bis nie politisch, das hab ich mir durchaus bewusst so ausgesucht. Gerade passiert aber etwas in meiner Heimat, was ich auch für die restliche Republik sehr spannend finde. Deswegen also im Folgenden, warum es sich lohnt das Areal des ehemaligen Quelle-Versandzentrums in Nürnberg nicht kampflos aufzugeben und warum ich denke, dass die Aktion jetzt schon ein ziemlicher Erfolg ist.
Als ich mit 12 nach Nürnberg auf die Schule kam, gabs nahe dem Hauptbahnhof noch den Zentralen Omnibusbanhof und den McDonalds am Anfang der Königsstrasse. Wollte man, was wir oft gemacht haben, vor der Busheimreise noch Burger oder Pommes, führte der Weg vom Ubahn-Aufgang vorbei am Komm. Wo heute eine schicke Glasfassade Touristen zu Informationszwecken willkommen heißt, war früher das, wovor uns unsere Mütter gewarnt hatten. Selbstverwaltung. Die war natürlich nicht der eigentliche Grund der Warnung, sondern die Junkies, die vor dem Gebäude auf den Stufen ihren Tag verbrachten. Ich gebe es zu, mir war das damals mit 12 alles sehr suspekt und ich hatte auch ziemlichen Respekt davor. Mit ungefähr 18 war ich dann hin und wieder zu Konzerten oder Parties im Saal im hinteren Teil des Kulturzentrums und fand mich wahnsinnig cool dabei. Warum, weil sich das sehr nach Freiheit anfühlte in einer Struktur am Leben teilzunehmen, die abseits von Normen und Vorgaben und vor allem Kommerzialisierung existiert.
Noch etwas später hab ich dann sogar ein ganzes Jahr an diesem Ort verbracht. Mittlerweile war die Selbstverwaltung komplett abgeschafft worden, aber viele der über die Jahre aus dem Engagement der Nutzenden erwachsenen Strukturen existieren noch immer. Für mich war es ein großes Geschenk in verschiedenen Räumen eines Gebäudes, das schon allein durch seine Architektur wahnsinnig inspirierend ist, einen sehr freien Zugang zum künstlerischen Schaffen beigebracht zu bekommen. Ich hab im Treppenhaus die hochherrschaftliche Freitreppe gezeichnet, im Gewölbekeller Holz bearbeitet und in der Glaswerkstatt vor meterhohen Fenstern Entwürfe erstellt. Unsere Mittagspause haben wir auf der öffentlichen Fläche vor dem Filmhaus-Café verbracht (oft wurde nebenan interessante Kunst ausgestellt). Dieses wahnsinnige Haus mit seiner illustren Geschichte und all seinen kreativen Teilen, den Werkstätten, den Filmfestivals, den Ausstellungen war meine Schule für ein Jahr. Für mich ein sehr wichtiges Jahr, in dem ich mehr und Wertvolleres gelernt habe, als in 13 Jahren Schule und etlichen Jahren Studium.
Für die Werkbund Werkstatt Nürnberg ist das Künstlerhaus als Standort ein Segen, weil es als Schulgebäude einzigartig ist.
Das Quelle-Areal könnte Schauplatz werden, für ähnliche Erfahrungen. Das Künstlerhaus ist ein grandioses Beispiel dafür, was jenseits von Kommerzialisierung und wirtschaftlichen Interessen in und für eine Stadt entstehen kann. Es ist auch ein Beispiel dafür, wozu unsere Stadt fähig ist. Anders zu denken und Freiraum einzuräumen. Sie ist ein solches Experiment bereits einmal eingegangen.
Ich kann mir schlichtweg nicht vorstellen, was möglich werden könnte, würde die Stadt ähnlich visionär mit dem Bauhaus-Riesen an der Fürther Straße umgehen, wie mit der Jahrhundertwende-Architektur am Hauptbahnhof.
Dieses Baudenkmal könnte der Anfang werden von sehr viel Innovation, weil es einfach mehr als ausreichend Raum gäbe für Experimente. Weil Menschen mit Ideen gerne dorthin gehen, wo sie diese unkompliziert verwirklichen können. Es könnte eine Maschine entstehen, die sich aus dem Zusammenkommen von Andersdenkern speist. Mit ziemlicher Sicherheit wird da auch irgendwann das ein oder andere Startup ordentlich Geld verdienen. Viel wertvoller für die Stadt und uns alle, die wir dort oder im Umkreis wohnen, ist aber in meinen Augen der Freiraum, der hier entstehen könnte.
Ein Freiraum, der im Kontrast steht zu Immobilieninvestitionsvereinigungen und Konzernstrukturen, die weite Teile von Städten beherrschen. Ich bin da Realist, ich glaube nicht, dass man generell verändern kann, dass ganze Stadtteile die Entwicklung von billigem Wohnraum, weil schlechte Adresse zu schicken teuer renovierten Apartments durchmachen werden.
Um so mehr brauchen wir Ausnahmen, die uns Bürger zumindest einen kleinen Anteil unserer Stadt zurückerobern lassen. Die uns das Gefühl geben, wir spielen eine Rolle in der Entwicklung unseres Lebensraums. Das ist was, wofür es sich wirklich lohnt zu kämpfen! Oder zumindest nicht gleichgültig zu sein.
Ich bin sehr dankbar für die Initiative, die aus der Zwischennutzung eines eigentlich tot-geweihten Behemoth von einem Gebäude entstanden ist. Zu dem eigentlich nicht wirklich jemand was sinnvolles einfällt. Weil sie eine wichtige Diskussion anstößt. Und uns alle nötigt mal darüber nachzudenken, wie wir eigentlich in Zukunft leben wollen.
Wie viele Einkaufszentren braucht eine Stadt, eine Region? Wie viele kann sie verkraften? Hat die Stadt eine Verantwortung für ihre eigene Entwicklung? Sollte ein Areal vom Ausmaß des ehemaligen Versandzentrums völlig ohne Einflussnahme der Stadt entwickelt werden dürfen? Oder überhaupt im Besitz von einer einzigen Entität sein? Was bedeutet es eigentlich, dass ein solches Gebäude zwar unter Denkmalschutz stehen muss, inhaltlich aber keinerlei Auflagen gemacht werden, was die Nutzung angeht? Ist es ok, total zu ignorieren, dass in einem Vakuum aus Ratlosigkeit bereits was Schützenswertes entstanden ist?
Ja, Fakt ist, das Gebäude ist in Privatbesitz. Ja, Fakt ist, Gläubiger warten auf ihr Geld und die Rechtslage fordert eine Zwangsversteigerung. Ja, Fakt ist, die Stadt hat kein Geld ein solches Projekt allein zu finanzieren. Und, ja, Fakt ist auch, dass nur weil man sich wo gut eingelebt hat, sich daraus nicht automatisch ein Anspruch auf weitere Nutzung ableiten kann.
Wenn aber plötzlich eine Situation entsteht, die deutliche Fragen aufwirft, weil einem der gesunde Menschenverstand einfach sagt, dass all die kleinen und großen Ideen, die jetzt schon im Quelle-Areal das Licht der Welt erblicken weitaus mehr Sinn machen, als noch ein riesiges Einkaufszentrum, dass irgendwie schon bevor es überhaupt geplant wird, zum Scheitern verurteilt scheint.
Weil man sich, wenn man ernsthaft drüber nachdenkt, einfach fragen muss, wie aus ehemaligen Fabrikhallen überhaupt sinnvolle Grundrisse für teuer vermietbare Wohnungen entstehen sollen. Und weil man das Gefühl nicht los wird, dass irgendwie überall Büroräume zu vermieten sind, die scheinbar keiner brauchen kann.
Wenn also solch eine Situation entsteht, dann gibt es die Chance, dass bestehende Strukturen hinterfragt werden und das wird unweigerlich zu Veränderungen führen.
Vielleicht erkennt die Stadt tatsächlich Handlungsbedarf, vielleicht findet sich jemand, der ein Konzept entwickeln kann, das auf ausreichenden eigenen finanziellen Füßen steht. Weil es irgendwo Fördermittel gibt, von deren Existenz gerade noch keiner was ahnt, weil es vielleicht irgendwo doch Investoren gibt, die eine andere Vorstellung von Geldanlage haben, als kurzsichtige Einkaufspalast-Projekte aus dem Boden zu stampfen.
Vielleicht findet die Stadt auch einen Weg, Einfluss zu nehmen auf die Nutzung eines Gebäudes, das so groß ist, wie ein ganzer Stadtteil, weil eine Stadt vielleicht doch bestimmen darf, wie viel Einkaufszentren sie aushalten kann.
Vielleicht erkennt die Stadt auch eine einmalige Chance bundesweit zur Ausnahme zu werden, eine Ausnahme, die so zum Magneten werden könnte für Innovation und kreatives Potential. Was das für eine Region bedeuten würde, die seit Jahrzehnten mit dem Verlust eines großen Arbeitgebers nach dem anderen klarkommen muss, kann sich eigentlich jeder an den eigenen zehn Fingern ausrechnen.
Was genau sind eigentlich die Rahmenbedingungen für Gewerbegebiete? Wie entscheidet eine Stadt oder Gemeinde, dass um die Ansiedlung von Firmen zu fördern irgendwo ein Autobahnzubringer gebaut wird. Welche Kosten entstehen bei einem solchen Projekt und gehen Städte nicht auch hier in Vorleistung, weil man überzeugt davon ist, dass sich das später auszahlen wird.
Ganz egal, wie die Geschichte am Ende ausgeht, die „Wir-kaufen-die-Quelle„-Bewegung hat jetzt schon unglaubliches erreicht. Sie hat die Idee von der Stadt geschaffen, die Freiräume bieten kann und vielleicht auch muss. Ich hoffe sehr, diese Idee erreicht noch viel mehr Menschen. Weil ich glaube, wenn man sich einmal vorgestellt hat, dass man in einer Welt leben könnte, wo Erfahrungen wie mein Werkbund-Jahr keine Ausnahme sein müssen, dann fällt es einem auf Dauer schwer zu akzeptieren, dass die Fakten- und Rechtslage ganz klar dagegen spricht.