Marie und Anna machen Mode. Wunderbar schlichte und doch aufwändige Designs, gefertigt aus Bio-Stoffen im Atelier in Esslingen. Ihr Label pol* existiert abseits von industrieller Massenproduktion. In kleinen Stückzahlen und auf Bestellung, losgelöst von Kollektionen, die nur eine Saison lang leben, sind sie für mich irgendwie die Zukunft der Modeindustrie.
Ich hab den Abschied vom gefühlten Luxus des Überflusses als echten Lernprozess erlebt. Es macht erst mal einfach Spaß, Klamotten tütenvoll nach Hause zu tragen. Dort versauert dann ein großer Teil in den Tiefen des Kleiderschranks, das ein oder andere Stück wird wegen qualitativer Mängel aussortiert und die wechselnden Trends machen das Meiste in immer kürzer werdenden Zeitspannen unmodisch. Ganz früher konnte man ein gutes halbes Jahr lang im Laden immer wieder zum Beispiel einen Wintermantel anprobieren. Der musste damals, im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten, deutlich teuerer sein, also hat das Budget in der Regel nicht mehr hergegeben als genau diesen einen einzigen Wintermantel (keine Übergangsjacke Herbst plus Frühjahr, Skijacke, Mantel für schick, wattierten Parka für lässig und dicke Daune für extra-kalt).
Irgendwo zwischen maximaler Einschränkung damals und maximalem Überfluss heute muss sich doch ein Bereich finden lassen, wo wir einzelne Kleidungsstücke wieder mehr lieben und wertschätzen. Wo wir sie reparieren lassen, wenn ein Saum aufgeht und wo es sich lohnt auch mal eine Änderungsschneiderei aufzusuchen, weil das einfach deutlich mehr Sinn machen sollte als eine Diät.
Independent-Labels wie pol* leben für mich genau in diesem Sweet Spot. Weil man der Mode hier ganz deutlich anmerkt, wie viel Liebe in jedem Stück Design steckt und weil man Zeit hat für seine Kaufentscheidung (weil die aktuelle Kollektion eben nicht zwei Wochen später schon ausverkauft ist).
Ich würd mir wünschen, dass es eine ganze Armee an solchen kleinen, feinen Labels gäbe, die alle möglichen Styles und Body Shapes abdecken. Wenn man keinen Durchschnittskörper hat, findet man in der industrielleren Fairen Mode-Sparte nämlich auch nicht so leicht Passendes. Als kleines flexibles Label könnte man hier perfekt die ein oder andere Nische besetzen. Wer nicht im regulären Sortiment einkaufen kann, ist eher bereit, und wahrscheinlich schon dran gewöhnt, tiefer in die Tasche zu greifen und hat von Haus aus eine größere Wertschätzung für einzelne Teile, weil die eben nicht so leicht zu finden sind.
Habt Ihr schon mal drüber nachgedacht auch Lang-, Kurz- und/oder Übergrößen anzubieten?
Grundsätzlich bieten wir unsere Teile ja in den Größen S, M & L an. Größenänderungen sind aber jederzeit möglich. Ab sofort wollen wir eine Weiten- und Längentabelle mit einfügen, so dass man überprüfen kann, an welchen Stellen die Kleider gut passen und wo eventuell noch was angepasst werden kann. Hierzu reicht eine Anfrage-Email und wir können mit den Kunden direkt klären, wie wir die Sachen ‚passend‘ machen können.
Da wir eine two-women show sind gehen wir ja momentan eh eher den Weg in ganz kleinen Stückzahlen / auf Bestellung zu produzieren, was natürlich dann auch den Vorteil hat, Sondergrößen herstellen zu können.
Gab es ein Schlüsselerlebnis, Fast-Fashion den Rücken zu kehren?
Nicht so sehr ein Schlüsselerlebnis, mehr die wachsende Unzufriedenheit mit der konventionellen Modeindustrie. Wenn man sich tagtäglich mit Kleidung befasst, und schlussendlich tun wir das ja irgendwie alle, kann man nicht mehr wegsehen. Der Gebrauch von Pestiziden, die Weiterverarbeitung mit gesundheitsschädlichen Färbemitteln und die sklavenartigen Zustände in den Nähereien sind Grund genug, seine eigene Haltung zu überdenken. Hinzu kam dann auch noch der Gedanke, sich nicht der Schnelllebigkeit anzupassen – das heißt für uns nicht zu viel zu machen und nach den Erfahrungen im ersten Jahr von pol* haben wir uns dazu entschlossen unsere Mode kollektionsunabhängig und nur noch Stück für Stück zu produzieren.
Wie ist die Idee entstanden, Mode für ein eigenes Label zu entwerfen und selbst herzustellen?
Die Idee kam uns kurz nachdem Marie von einem Job bei einem Modelabel aus Mumbai zurück war (welches auch fair produziert). Annas grundsätzliches Interesse an Mode und die Lust eigene Sachen zu entwerfen. Wir beide hatten den Wunsch nicht für ein großes Unternehmen zu arbeiten und einen kleinen Teil zur fairen Modewelt beizutragen.
Mehr oder weniger war es aber eine spontane Idee bei einem Spaziergang durch München. Und da wir uns schon ewig kannten, wussten wir ja auch schon, auf wen und was wir uns einlassen.
So richtig kennengelernt haben wir uns übrigens, als wir in der Schule das gleiche Shirt an hatten, da war schon mal das Grundlegende klar :-). Der Rest kam dann von selbst.
Ihr habt beide vor und neben der Mode noch andere Sachen gelernt, haben die Einfluss auf Euren Designprozess, empfindet Ihr das als Gewinn?
Wir finden es ist immer gut, sich nicht nur auf das eine zu konzentrieren und haben ständig viele verschiedene Projektideen im Kopf. Das beeinflusst nicht nur den Designprozess, sondern hilft vor allem auch bei den organisatorischen Dingen.
Vieles ist bei uns aber auch learning by doing. Und wir stellen immer wieder fest, dass Architektur und Modedesign gar nicht weit voneinander weg sind.
Zum Schluss wie immer die Frage, habt Ihr konkrete oder auch weniger konkrete Pläne, Träume, Wünsche für die Zukunft von pol*?
Toll wäre es, die Arbeit beim Label mit einem sozialen Projekt zu verbinden / in ein soziales Projekt zu integrieren. Natürlich das allbekannte Zeitproblem zu lösen und mehr in pol* investieren zu können.
Momentan sind wir aber ganz schön stolz auf uns, wie gut die Zusammenarbeit auch über die räumliche Distanz funktioniert und wir neben all den anderen Jobs, die wir machen, dran bleiben können.
Vielen lieben Dank für das nette Gespräch und den interessanten Blick hinter die Kulissen. Ich bin schon gespannt auf neue Designs.
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Fotos: Matthias Kestel / Flo Jaeger