Foto (c) Amanda Voisard mit freundlicher Genehmigung von UN Photo
Ich hab eine Weile hin und her überlegt, ob ich aufschreiben soll, was in meinem Kopf vorgeht, seit Conchita Wurst den Grand Prix gewonnen hat. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich nicht so richtig weiß, wo er gerade hin will dieser Blog, der ursprünglich mal dazu gedacht war ein Ort zu sein, wo ich – gerne auch in ausschweifender Form – meine Meinung sagen will. Seit der DIY-Offensive zum vorletzen Weihnachten frag ich mich irgendwie immer, wenn ich mal wieder was zu sagen hätte, passt das überhaupt zwischen Windlicht und Mörchenmuffins. Hin und wieder mach ich’s dann, weil ich einfach nicht nichts dazu sagen kann, nachdem ich mehrere Tage damit zugebracht hab, zu lesen, was andere so dazu zu sagen haben. Und das ist auch gerade jetzt wieder mal so. Ich weiß nicht, was genau das Fass zum überlaufen gebracht hat. Die verstörenden Kommentare unter Sidos Facebook-Stellungnahme, der Quatsch den Cher auf Twitter verbreitet oder was Béla Anda von der Bild-Zeitung meint beitragen zu müssen. Deswegen also im Folgenden, warum Conchita Wurst nur genauso funktioniert, wie sie ist und warum sie für uns alle wichtig ist, und man sie bitte nicht auf ihre Herkunft aus der LGBT-Communitiy reduzieren sollte.
Vielleicht fang ich einfach mal damit an, was sie für mich ganz persönlich bedeutet. Ich bin fasziniert davon, ihr dabei zuzuschauen, wie sie in Pressekonferenzen mit dem Publikum und vor allem auch den Männern im Publikum flirtet. Wie sie ihre Haare aus dem Gesicht streicht und vor allem dieser Augenaufschlag. Für mich verkörpert sie etwas ganz essentiell weibliches und das umgibt sie, man kann es ihr absolut nicht absprechen. Ich beneide sie darum, denn ich suche seit geraumer Zeit in mir nach genau diesem Frau-Sein und ich hab enorme Schwierigkeiten es freizulegen. Ich empfinde mich als Teil einer Generation von Frauen, die damit aufgewachsen sind, dass weibliche —for lack of a better word — Reize Schwäche ausdrücken, und dass wir uns damit auf keinen Fall aufhalten sollen. Viel wichtiger ist es, eine ordentliche Ausbildung einzusammeln und auch sonst vor nichts zurückzuschrecken um in einer Männerwelt mitzuhalten. Ich bin mir sicher, es gibt Frauen, für die fühlt sich das natürlich an und die fühlen sich damit auch wohl. Ich hab aber auch den leisen Verdacht, dass die mit und ohne Frauenbewegung genau da angekommen wären, wo sie jetzt sowieso schon sind. Und ich kann dazu nur sagen herzlichen Glückwunsch und more power to you. Ich will das für mich nicht mehr so haben und ich suche jeden Tag aufs neue meinen eigenen Weg. Aber das ist im Grunde eine ganz andere Geschichte. Conchita macht mich unheimlich froh, weil sie eigentlich ein Mann ist und sich trotzdem entschieden hat, einen beträchtlichen Teil ihres Lebens als Frau zu bestreiten. Weil sie Spaß daran hat und sich so wohl fühlt. Weil sie nicht findet, dass es ein Nachteil ist, eine Frau zu sein. Im Gegenteil, sie zelebriert es geradezu. Und für mich gibt sie dem Frau-Sein dadurch einen immensen Wert. Ich bin mir sicher ein ganz großer Teil ihrer Erfolgsstrategie ist das Nutzen von — auch nicht viel besser — den Waffen einer Frau. Weil es einen ganz einfach in ihren Bann zieht, wenn sie die Haare zurückwirft und ihre Rehaugen aufreißt. Und sie schafft das ganz ohne billigen Sex-Appeal. Allein dafür hat sie für mich schon irgendeinen Preis verdient. Es wird einfach Zeit, dass wir Frauen wieder mehr Wert im Frau-Sein sehen und ich danke Dir dafür Conchita, dass du mich da mal wieder mit der Nase drauf gestoßen hast.
Der Bart ist wichtig! Ohne den Bart wäre es richtig, was überall neben dem Namen Conchita Wurst steht: Drag Queen, Travestiekünstler. Im Grunde müsste man, wenn man denn unbedingt eins braucht, dringend ein neues Label erfinden. Aber ich glaube, das ist auch ein essentieller Bestanteil der Botschaft. Ich bin so, weil ich so sein will und es ist keine Rolle die ich spiele. Ich bin ein Mann, ich bin nicht im falschen Körper geboren, ich hab aber trotzdem Spaß daran, Frauenklamotten anzuziehen und lange Haare und falsche Wimpern auszuführen. Vielleicht ist es auch gar nicht eine Frage, ob mir das Spaß macht, vielleicht fühlt sich das für mich einfach auch richtig an. Und vielleicht fühlt es sich für mich an einem anderen Tag oder in einem anderen Kontext wiederum richtig an, in Männerkleidung aufzutreten. Seit keine-Ahnung-wann können Frauen ganz genau das tun. Wenn ich Lust hab, kann ich mich anziehen wie ein Mann. Ich kann sogar in der Männerabteilung einkaufen, da schaut mich im Grunde keiner schief an dafür. Ich kann mir die Haare kurz abschneiden. Ich kann Turnschuhe tragen. Und wenn mir am Tag drauf danach ist, kann ich in 15cm Hacken und Minirock mit Smokey Eyes und rotem Lippenstift um die Ecke kommen. Warum irritiert uns das so sehr, wenn Männer sich das auch mal rausnehmen. Vielleicht hat das im Grunde gar nicht so wahnsinnig viel damit zu tun, was für eine sexuelle Orientierung man hat. Das sind alles Dinge, über die sollten wir als Gesellschaft dringend mal nachdenken. Und gäbe es diesen Bart nicht, gäbe es auch keinen Grund, darüber nachzudenken. Dann hätte das mit mir als Mainstream-Mensch nichts zu tun. Weil dann könnte man die Nummer ganz einfach damit abtun, dass da halt ein Mann ist, der gern ne Frau wäre. Da kann man dann ganz wunderbar dahinter stehen, weil man einfach tolerant ist gegenüber anderen Lebensentwürfen. Und das ist auch wichtig und auch dafür tut sie was, die Frau Wurst. Das ist sehr schön und es macht mich auch happy, dass wir in einer Welt leben, die damit mittlerweile so offen umgehen kann. Gleichzeitig erschrecke ich auch immer wieder, wenn ich lesen muss, wie viele Menschen es trotzdem nach wie vor gibt, die sich sehr bedroht fühlen von Andersartigkeit. Das fängt damit an, dass Leute einfach total platt homophob sind, zum Beispiel auf Facebook unter der Stellungnahme von Sido, der sich irgendwie auch windet und um einigermaßen politisch korrekte Worte ringt und endet damit, dass Bülent Ceylan gestern in einer ORF-Talkshow sagt, er hätte nix gegen Schwule, aber er will halt nicht dabei zuschaun. Und irgendwie ist auch das ihr Verdienst, dass das jetzt alles mal sichtbar wird. Weil man sich gerade nicht ausschweigen kann, sondern angesichts der Präsenz des personifiziertem Andersseins irgendwie dann doch Stellung nehmen muss und wir als Gesellschaft erkennen müssen, dass wir in Summe eben doch nicht so tolerant sind, wie wir uns gerne sehen würden. Dafür brauchen wir den Bart, ohne Bart wäre sie nicht das Sandkorn im Getriebe, an dem man merkt, ganz so rund läufts einfach irgendwie doch noch nicht. Ach und, liebe Cher auch der Name ist wichtig, er ist sozusagen Programm. Ja, man wundert sich kurz oder auch länger und das soll so. Es ist sehr schön, dass du ein Statement abgeben wolltest für die Sache, mir scheint jedoch, du hast nicht so ganz verstanden, was die Sache von Conchita jetzt eigentlich genau ist. Ich weiß nicht warum, aber sowas ärgert mich fast genauso wie Béla Anda, der meint der Welt dringend mitteilen zu müssen, dass ein Bart im Gesicht einer Frau sein ästhetisches Empfinden stört. Conchita würde da jetzt wahrscheinlich drauf sagen, ja störts dich, also ich finds ok. Und genau in diesem Moment dämmert einem dann vielleicht was und das macht sie dann irgendwie noch größer als Sacha Baron Cohen.
Und zum Ende möchte ich noch gern gesagt haben, dass ein essentieller Bestandteil ihres Erfolges ganz klar ist, dass sie einfach wahnsinnig gut ist, in dem was sie tut. Sie kann wirklich singen. Sie ist technisch wirklich eine sehr gute Sängerin. Und sie ist auch als Performerin erst Klasse. Sie macht eine sensationelle Show, die man ihr zu hundert Prozent abnimmt und sie hat bei den drei Eurovision-Auftritten jedes mal 1:1 perfekt abgeliefert. Dadurch wird sie irgendwie sehr unangreifbar, das hat eine irrsinnige Kraft und Authentizität. Man muss sie einfach ernst nehmen, ob man will oder nicht. Und genauso tritt sie auch als Person auf. Mit einer Selbstverständlichkeit, die einem Respekt abnötigt ob man will oder nicht. Ich muss ganz klar sagen, auch ich habe Schwierigkeiten mit dem Konzept der bärtigen Frau. Ich bleib immer noch hin und wieder daran hängen und denke kurz „äh was is da los“. Aber jedes Mal wenn ich sie sehe, wird das ein bisschen weniger. Und da drängt sich mir ganz klar die Frage auf, wie würde sich das auf meine Wahrnehmung auswirken, wenn ich generell mehr Diversität in den Medien sehen müsste. Was macht das mit uns, dass uns ständig verdichtete Haare, durch Contouring modellierte Gesichter und superschlanke Körper vorgesetzt werden. Von Botox und Nasenoperationen will ich jetzt gar nicht erst anfangen.
Ich bin wahnsinnig gespannt, wie Conchita Wurst ihre 15 Minuten Ruhm für sich nutzen wird. Ich bin auch wahnsinnig gespannt, wie wir als Gesellschaft den Denkanstoß nutzen werden, den sie uns gegeben hat. Alles in allem freu ich mich einfach sehr sehr sehr über alles, was gerade so passiert einfach weil ein Mensch beschlossen hat, so zu sein wie er das für sich gerne hätte.
Hi, interessant dein Text. Weiter so. Der Blog bist du und es sollte egal sein ob es zwischen Andere Beiträge passt oder nicht. Hauptsache du stehst hinter deinem Blog und was du schreibst. Ein bisschen Abwechslung macht einen Blog doch lebendiger.
Danke!
Unglaublich toller und inspirierender Text !
vielen Dank!
Ich finde auch: das hast du sehr schön gesagt :) Intelligent und reflektiert niedergeschriebene Gedanken finde ich sowieso immer sehr interessant. Wie baujulia schon sagte: ein bisschen Abwechslung macht einen Blog noch lebendiger. Gerne mehr davon :)
Dankeschön!